Wiener Experimente im Reallabor des Schamanen

09.03.2015 - 12.03.2015 (von Andreas D., Deutschland, 58 J.) wurde geringfügig überarbeitet

Hexe Walpurga und Mike der Schamane leben am Rand von Wien in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Dort findet auch das Ayahuasca-Seminar statt. Außer mir gibt es noch einen 28jährigen Pharmakant aus Freiburg, der gerade ein Jahr in der Wildnis Schwedens gelebt hat.

„Eine kleine Gruppe und nur Deutsche, das ist schön“ schmeichelt uns Mike. Für ihn sind die Österreicher wankelmütiger und laufen weg, wenn es schwierig wird, aber seine deutschen KlientInnen bleiben immer bis zum bitteren Ende des Rituals. Bitter sind die verschiedenen Rauschgetränke, die wir zu uns nehmen werden alle mal.

Ich weiß nicht, was mich erwartet. Auf den ersten Blick empfinde ich die Wohnung etwas überladen mit magischen Artefakten, Kristallköpfe, Trommeln, Fetische aus allen Kulturkreisen. „Sieht ja aus wie im Völkerkundemuseum“, sage ich zur Hexe. „Ja, der Mike ist ein großer Sammler.“

Das Vorstellungsgespräch kommt mir etwas unüblich angeleitet vor, doch nach und nach empfinde ich Mike und Walpurga sympathischer und das gesamte Setting als gut und kann Vertrauen aufbauen. Mike hat schließlich schon 200 Veranstaltungen dieser Art hinter sich und hat sich damit bewährt. Er hat aber auch schon ein Leben hinter sich mit vielen Einblicken in unterschiedliche Soziotope.

Ich verstehe nach einiger Zeit ihr Lehr-Konzept: wir sind für drei Tage Gäste in ihrem Tagesablauf. Die schamanische Lehre geschieht nebenbei und zwischendurch und begrenzt sich auf das Wesentliche. 300 Bücher über Schamanismus stehen zur vertiefenden Lektüre bereit.

Am ersten Abend gibt es eine Mapacho-Reinigung. Da trinkt jeder Teilnehmer ca. 150 ml eines bitteren Gebräus aus Tabak, Kaffee und Zucker. Diese ekelige Brühe soll Giftstoffe aus dem Körper ziehen. Deshalb soll man das Gebräu wieder auskotzen, was ich auch tue. Trotzdem wird die Nacht sehr lang. Erst um vier Uhr kann ich einschlafen und bin am folgenden Vormittag völlig fertig und bis Mittag zu nichts zu gebrauchen.

„Das gehört dazu. Das ist kein Wellnessurlaub“ kommentiert die Hexe, „das reinigt dich.“ Der andere Teilnehmer sagt: „ich muss nie kotzen.“ So behält er die ganze Soße bei sich. Ich muss an jedem der drei Abende kotzen. Er – kein einziges Mal! Der Mann hat den Magen einer Kuh!

Wir sollen in einer mit Trommeln angeleiteten Trancereise unserem Krafttier begegnen. Dafür reist man in die untere Welt. Mike trommelt auf seiner Wundertrommel. Das geht allerdings nur bis ca. 20 Uhr. Danach würden sich die Nachbarn belästigt fühlen. Also müssen wir Gas geben. Die Großstadtschamanen leben mitten im Wohngebiet am Rande der Stadt. Irgendwie bizarr. Darauf stehe ich ja.

Ich neige überhaupt nicht zum Visualisieren. Ich wähle meinen Kraftplatz im indischen Mount Abu. Ein Ort, der heftig mit Vergangenheits-Erfahrungen belastet ist. Die Wahl stellt sich jedoch als gut heraus. Ich bin sofort in der unteren Welt. Mein Krafttier ist ein schwarzes Pferd. Kaum ist es da, beginnt eine Reise durchs Weltall zu anderen Planeten, Städten und Naturlandschaften in einer stürmischen Dynamik. Dann komme ich an einer Stelle an, wo ein Seil hängt. Ich steige hoch und steige immer weiter auf. Dabei komme ich durch grandiose, unglaubliche, ja kolossale Welten. Noch nie habe ich so was gesehen. Das kann ich mir unmöglich ausdenken, dafür gibt es keine Vorlage. Irre!

Es geht durch eine nicht endende Reihe von Kristallwelten, goldenen Welten, Palästen, Sakralbauten … es geht immer weiter. Endlos. Raumschiffe, Gesichter, Augen, bis es mich schließlich zu langweilen beginnt. Was soll der ganze Pomp? Ich bin da eher ein Minimalist, der leere Räume bevorzugt, da kommt auch schon das Rückkehrsignal von Mike. Das war erstmal ein Test und ohne Drogeninduktion.

Am nächsten Abend ist es soweit. Jetzt geht es ans Eingemachte. Der Rauschtrank wird von den beiden nach einer geheimen Rezeptur gebraut. Da ist zunächst die Liane Banisteriopsis caapi, die Blätter von Chaliponga, Stechapfel (Datura), Kinnick-Kinnick und etwas Mapacho. Die Zutaten holen sie sich völlig legal aus den Niederlanden. Das Gebräu hat 16 Stunden vor sich hingeköchelt und wurde dann in zwei leere Amaretto-Flaschen abgefüllt. Hier steht es nun vor uns.

Ayahuasca ist ein Spirit, der durch diese pflanzliche Kombination gerufen wird. Wir können im Rausch diesem Spirit Aug in Aug auf der Seelenebene begegnen. Vorausgesetzt wir können uns über die Körper- und Geistesebene erheben.

Ayahuasca tritt in Archetypen auf: als Jaguar oder als grüner Mann. Dann sollen wir fragen: „Was willst du uns zeigen, Ayahuasca?“ Zusätzlich sollen wir unsere eigenen Forschungs-Fragen in Petto haben.

Los geht’s. Ich kriege 190 ml und mein Mitstreiter S. 150 ml verabreicht. Na, dann Prost! Augenbinden auf. Hinlegen und warten. Wir liegen flach auf dem Boden und warten ca. eine Stunde auf das Einsetzen der Wirkung, dazu hören wir die traditionellen Lieder der Ayahuasceros aus Peru. Nix passiert. Ich sehe nur abgeräumte Schlachtfelder. Alles ziemlich trostlos. Allerdings ohne Tote. Wege aus der dunklen Erde und eine Kirche.

Mike gibt mir drei Kapseln mit psychogenen Stoffen wie Mini-Woodrose, Guarana und Trichterwinde. Ich sitze im Sessel und bringe mich in eine meditative Stimmung. Das scheint kontraproduktiv zu sein, wie wir am nächsten Morgen analysieren. Für Ayahuasca muss man passiv sein, empfangend. Nicht der Teilnehmer ist der agierende, sondern der Ayahuasca-Spirit!

S. kann sich an keine Visionen erinnern, aber er war deutlich tief in Trance, dafür ist er jetzt völlig zerschlagen. Ein heftiger Kater plagt ihn, dagegen bin ich relativ frisch.

Der wunde Punkt

Neuer Tag, neue Experimente. Um 16 Uhr geht es wieder los. Thema: innere Reise zum Lehrer. Im Gegensatz zur gestrigen Reise ist mein Pferd diesmal eine lahme Ente. Ich komme nicht richtig in Schwung. Rückkehrsignal.

Mike pendelt die Mengen der bitteren Brühe für den zweiten und letzten Trip aus. 150 ml für S., 180 ml für mich. Mike pendelt auch bei mir wieder die Kapseln aus, ich bekomme drei Stück zur Unterstützung. Hinlegen und auf Empfang stellen. Nix passiert. Nachladen: ich kriege nochmal 50 ml. Schwache Bilder erscheinen. Durchaus auch typisch psychodelle Bilder: Schlangen, Insekten, riesige Käfer. Ich sehe mich von innen. Dort habe ich den Skelettaufbau eines Reptils und denke: „jetzt wo du in Thailand Maden und Insekten gegessen hast, bist du immun gegen die Schrecken aus dem Unterbewussten.“

Nach zwei Stunden soll ich noch mal nachladen. „Dann muss ich kotzen“, sage ich. Mike sitzt im Sessel und wirkt hier ganz stoisch als ider strenge Meister des Rituals.

Ich trinke nochmal gut 50 ml und habe jetzt fast 300 ml intus. Eine gigantische Menge. Mir müsste die Schädeldecke wegfliegen. Es tut sich nichts Wesentliches. S. hat die Hälfte intus.

Der Raum der Stäbe

Nach drei Stunden Warten auf Ayahuasca gehe ich ins Bett. Dann kommt die große Kotzerei. Alles muss raus. Die Hexe kommt, „gut so. Das öffnet deine Zugänge.“ Kaum lege ich mich wieder hin, bin ich in einem komplett leeren, weißen Raum eleganter Stille. Da ist gar nix. Ah, das mag ich. Ruhe.

Nach einer Weile kommen bündelweise dünne Stäbe. Aus jeder Richtung. Sie biegen sich, wenn mein Geist sich biegt. Es sind immer Bündel aus sieben Stäben. Die Segmente der Stäbe sind rot oder weiß markiert. Jedes Segment ist eine Kapsel, gefüllt mit Wissen. Ein oder zwei Segmente werden rausgebrochen und Wissen kommt zu mir.

Schließlich begrenzen die Stäbe die Leere zu einem Raum. Der Raum spricht zu mir und beantwortet eine meiner Fragen: „wie ich meine linke und rechte Körperhälfte wieder in Balance kriege.“ Im Prinzip werden alle meine Fragen beantwortet. Die verbindende Antwort aller Fragen wird markiert.

Mir wird auf Herzhöhe ein Einschussloch im Rücken gezeigt und in der Brust ein weiteres Loch als Austritt der Kugel. Das hintere Loch ist umrahmt von einem quadratischen Rahmen aus Edelsteinen.

Eine äußerst intelligente Form der Vermittlung, denn ich nehme eher von unpersönlichen Strukturen eine Erkenntnis an, als in der persönlichen Vermittlung durch Menschen oder Spirits.

Ich erinnere mich an einen Vorfall vor 32 Jahren, als mir mitten in HongKong ein Schamane eine starke Energie in den Rücken geschossen hatte. Für einen Moment war die ganze Welt aus Licht gemacht.

Auch spüre ich, dass sich auf der rechten Körperhälfte eine Rüstung festgesaugt hat, die kann ich jetzt runterschieben bis zu den Waden, so als würde ich sie einfach ausziehen. Mir werden erklärende Worte gegeben, die zum Teil nonverbal aus meinen eigenen Erfahrungen gespeist werden.

Auch diese Nacht ist äußerst anstrengend. Ich kann wegen der Übelkeit erst gegen fünf Uhr einschlafen. Kann nur einige Sekunden eine Körperposition einhalten und muss sie dann wieder ändern. Linke Seite, rechte Seite, Rücken, sitzen, schwitzen, Sachen ausziehen, wieder anziehen, rein in den Schlafsack, wieder raus … würde gerne laufen, laufen, laufen. Fürchterliche Unruhe. Schlafe dann aber doch ein und bin am nächsten Morgen ganz gut beieinander.

FAZIT

Das war kein Wellnessurlaub! Das war Arbeit! Und wieder mal bin ich froh, dass ich es hinter mir habe. Walpurga hat sich als sehr starke, bodenständige Frau gezeigt. Als Studierte der katholischen Theologie kennt sie sich auch akademisch in der Materie des Hexenwissens aus und als wissende Kräuterfrau kennt sie nicht nur die Natur, sondern auch die chemischen Zusammenhänge. Mike ist Autodidakt, der schon viel hinter sich hat. Sein Vater war ehemaliger Vorsteher der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich. Er hat direkt von seiner inneren Lehrerin die Berufung für diese Arbeit erhalten. Die beiden sind ein gutes Team und sehr mutig, angesichts der ganzen Menschen, die zu ihnen kommen, die zum Teil heftige psychische Probleme haben.

„Bis jetzt haben wir noch jede Situation fest im Griff gehabt, auch dank unserer spirituellen Begleiter.“ Respekt. Das ist eine Herausforderung.

Wie ergiebig war dieses Abenteuer nun für mich? Es ist ein weiteres Puzzleteilchen in die Lücke gefallen. Ich weiß immer mehr, wie alles in meinem Leben zusammenwirkt. Mein wunder Punkt ist auch mein Rettungspunkt. So ein Experiment ist auch eine Mutprobe, die einen fähiger macht und weiser. DANKE.